von Karl Sandvoss / ISIGL, Düsseldorf
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Der Verfasser hat sich seit Jahrzehnten im Rahmen von ISIGL-Forschungsprojekten (ISIGL Institute of Stringed Instruments Guitar & Lute e. V. Düsseldorf I) die Aufgabe gestellt, das Bewusstsein für die Klangwelt, Klangqualität und Magie der klassischen Gitarre zu stärken. Dazu gehört auch ein“, korrekte Intonation. Es ist nämlich kein Geheimnis. dass es in der Praxis unter zahlreichen Missständen auch mit dem Intonationsverhalten vieler klassischer Gitarren, insbesondere auch hochpreislicher Instrumente, nicht zum besten steht Nach langen Jahren relativen Stillstands ist in der letzten Zeit erfreulicherweise das Bewusstsein für das Intonationsverhalten unseres Instruments wesentlich gestiegen, was auch ein Thema des kiirzlich stattgefundenen Workshops der FH in Markneukirchen war (Bericht vom selben Verfasser in diesem Heft.) Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, das Bewusstsein für den künstlerischen Rang dieses Themas in der klassischen Gitarristik zu stärken.
Welche Vorteile bringt eigentlich der heutigen klassischen Gitarristik die eingehende Beschäftigung mit dem Thema Intonation?
Geht der Gitarrist, dieses Thema betreffend, zu einem angesehenen, besser noch, berühmten Gitarrenbauer – der Autor bevorzugt aus guten Gründen das schöne Wort Luthier -, und wenn wirklich ein Problem existieren sollte, schafft dieser es aus der Welt. Fertig!!! Dies ist jedenfalls der übliche und erfolgreiche Weg bei den Orchesterinstrumenten. Nicht so – von einigen weltweit handverlesenen, meist jüngeren Luthiers abgesehen – bei der klassischen Gitarre. Unser Instrument ist nämlich trotz der über zweihundert jährigen Bemühungen einer zeitlichen Folge genialer Pioniere nicht zuletzt aufgrund riesiger Informationsdefizite, dem hohen Komplikationsgrad der genauen Zusammenhänge und der Verdrängungsleistungen vieler Luthiers und Spieler leider bis heute ein Stiefkind der Intonation geblieben. Jedoch beginnt sich nun, vor allem dank der Bemühungen „zorniger junger Leute“ und besserer Ausbildung nach dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, daran etwas zu ändern. Zudem empfindet der Musiker beim Spiel auf korrekt intonierenden Instrumenten ganz besonders auf solchen mit regelbarem Intonationsverhalten – nichts vom theoretischen Komplikationsgrad, sondern vielmehr Befreiung. Der Erfolg der jetzt einsetzenden Bewegung hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass sich doch allmählich herumspricht, um wie viel besser ein gut intonierendes Instrument klingt!
Dieser Effekt ist umso stärker, je klanglich hochrangiger die Gitarre ist! Das Instrument wird nämlich über ein korrektes Intonationsverhalten gewissermaßen geadelt! Ein solches Instrument ist für intonationsbewusste Spieler ganz nebenbei auch leichter spielbar, weil er nicht gegenintonieren muss und sich ganz auf sein Spiel konzentrieren kann! Die vorliegende Arbeit ist auch als Beitrag des Verfassers zur Reduzierung des gegenwärtigen Informationsdefizits gedacht, denn es besteht heute erstmalig Grund zum Optimismus, weil alle restlichen Intonationsprobleme unseres Instruments in der letzten Zeit gelöst worden sind. Es liegen inzwischen instrumentenbaulich ausgereifte, klanglich hochwertige, inzwischen tausendfach bewährte Lösungen vor. Der Autor greift hier – wie in seinen früheren Berichten auch – auf die am ISIGL eigenständig gewonnenen Forschungsergebnisse in Fortsetzung seiner seit Anfang der achtziger Jahre gestarteten Öffentlichkeitsarbeit themenübergreifend zurück.
Erschwerend für die Bewusstseinsbildung für Intonation kommt hier – wie gesagt – der im Gegensatz zur Praxis für die Gitarristik ungewöhnlich hohe theoretische Komplikationsgrad der zugrundeliegenden künstlerisch-hörph ysiologisch-hörpsychologisch- technologischen Sachverhalte hinzu. Das Thema lässt sich demzufolge in seiner Breite eigentlich nur in Buchforrn behandeln. Ein solches Büchlein wird der Autor denn auch in absehbarer Zeit der Öffentlichkeit vorlegen, und die hier gemachten Aussagen sind dem Text dieses Büchleins im Vorgriff entnommen und stellen in Anbetracht der kommerziellen Bedeutung der behandelten Themen lediglich die rein persönliche Meinung des Autors dar. Der Leser ist eingeladen, sich von den Fakten selbst zu überzeugen und sich sein persönliches Urteil zu bilden. Der Autor ist aus Sachzwängen heraus gehalten, sich hier kurz zu fassen.
Dass die Intonation ein tragender Bestandteil des allgemeinen Konzertlebens und natürlich auch der Orchesterinstrumente ist, bleibt unbestritten. Unstrittig gilt dies auch prinzipiell für die klassische Gitarre.
Warum ist die Intonation dennoch bis heute ein Stiefkind unseres Instruments geblieben, und wie konnte dies geschehen?
Die Gründe sind vielfaltiger Natur und mit der Entwicklungsgeschichte unseres Instruments eng verbunden. Dazu gehören vor allem die Einführung fester Bünde, fester Saitenmensuren sowie die Abwahl von Darm und Naturseide verbunden mit der Einführung von modifizierten Angelschnur- und Borstenmaterialien (Monofilamenten aus Nylon (PA), Fluorcarbon (PVDF), Polyester etc.) und Reifencordmaterialien (Multifilamenten aus PA und anderen Werkstoffen etc.). Diese Werkstoffe bzw. die aus ihnen gefertigten Saitenprodukte unterscheiden sich nämlich in ihrem Intonationsverhalten aus zwingenden physikalischen Gründen zum Teil wesentlich von den traditionellen Materialien.
Dass die Intonation bis heute ein Stiefkind sowohl der klassischen Gitarre wie auch allgemein der akustischen Gitarren geblieben ist und die Informationsdefizite weiterbestehen, obwohl in der letzten Zeit – wie gesagt – alle Probleme erstmalig gelöst sind, bleibt angesichts der Größe und Marktmacht des Gesamtkomplexes Gitarrenbau & Zubehör einschließlich E-Gitarre und der hier im Verein mit weiteren instrumentenbaulichen Maßnahmen schlummernden ungenutzten Wertschöpfungschancen erstaunlich. Der weltweite Einzelhandelsumsatz im Komplex Gitarren & Zubehör (wobei akustische Gitarren einen wesentlichen Anteil haben) hat nämlich inzwischen die kaum fassliche Größenordnungen von mehreren Milliarden US$/a erreicht; allein das größte von drei US-Ladenketten, die Guitar-Center-Ladenkette, hat einen ausgewiesenen Umsatz in der Größenordnung von ca. 700 Mio-US$/a erreicht.
Zum Gesamtkomplex Intonation hier einführend einige Punkte: Wir unterscheiden im folgenden zwischen 1. der Basisintonation des Instruments und 2. der Vortragsintonation – also der tatsächlichen künstlerischen Intonation. Wie im ISIGL schon vor Jahrzehnten belegt, hat eine korrekte Basisintonation wesentlichen Einfluss auf die Tonqualität des Instruments, insbesondere bei den Diskantsaiten: Wie gesagt, adelt sie das Instrument. Und dies hat folgenden Grund: Die Tonqualität wird hier sehr wesentlich von den zur Resonanz angeregten Basssaiten bestimmt und nicht allein von der Originalsaite selbst. Der Leser kann sich von diesem Sachverhalt selbst leicht durch Abdämpfen der Basssaiten überzeugen. Die Chanterelle ist dann ohne die Resonanzwirkung der Basssaiten klanglich praktisch tot! Diese Resonanzwirkung ist freilich entscheidend von den Frequenzrelationen und damit von einem korrekten Intonationsverhalten des Instruments bestimmt.
Obwohl wir als Basis – wie bei den Orchesterinstrumenten und dem Pianoforte auch – die zwölfteilig gleichteilig temperierte Stimmung zugrunde legen, sind dabei dennoch einige musikalisch relevante Fakten zu beachten: Diese zu Recht unserer Literatur zu einem großen Teil zugrunde liegende Stimmung kollidiert bekanntlich systembedingt intervallabhängig mit dem elementaren Wunsch des Ohrs nach reiner Stimmung, denn die Quinten und Quarten haben in der temperierten Stimmung einen Fehler von ca. 1,95 Cent, und vor allem die Terzen und Sexten weisen einen Fehler um ca. 13,69 bzw.15,64 Cent auf. Aus vielfältigen Gründen, zum Beispiel im akkordischen Zusammenhang (aber nicht nur dort), ist deshalb der Gitarrist ständig in Versuchung, diesen Fehler mit Folgen für die Gesamtintonation auszuregeln, ohne dass vielen Spielern die Ursachen und die evtl. Abhilfen bekannt sind. Unser temperiertes Tonsystem ist bekanntlich die Frucht jahrhundertelangen Ringens um die beste Lösung oder – besser gesagt – der günstigste Kompromiss. Bekanntlich haben die größten Geister vergangener Jahrhunderte um Lösungen gerungen und parallel eine Vielzahl von Stimmungssystemen konzipiert (auf die historisch besonders wichtige mitteltönige Stimmung kommen wir im Beitrag Dr. Michel im Bericht über den Workshop 2004 der FH Markneukirchen zu sprechen).
Die vier maßgebenden hörphysiologischen und hörpsychologischen Intonationsphänomene
Damit ist der Komplikationsgrad des Intonationsproblems aber noch keineswegs erschöpft, denn jetzt kommt die Hörphysiologie und Hörpsychologie ins Spiel.
Das Tonhöhenempfinden des menschlichen Ohres ist von Individuum zu Individuum – auch unter Musikern – nach Ausweis zahlreicher Untersuchungen, aber auch nach eigenen Untersuchungen des Verfassers am ISIGL, verschieden und nur bedingt trainierbar. Auch die frequenzabhängige Hörempfindung, bzw. die Hörschwellen, sind zwar ebenfalls unterschiedlich, jedoch gibt es mehrheitlich starke Übereinstimmung. Diese Übereinstimmung bildet die Grundlage rur die sog. Normalgehörskurve, die z. B. der HNO-Arzt routinemäßig aufzeichnet. Dieses dennoch relativ häufig verbreitete Phänomen einer stärkeren Abweichung von der Normalkurve ist auch die Hauptursache der gegensätzlichen Beurteilung sowohl von Gitarren als auch von künstlerischen Tonproduktionen …
Was nun die hörphysiologisch korrekte Intonation angeht, liegt für ein gutes Intonationsgehör sogar für nacheinanderfolgende Töne die Schwelle bei ca. 1 Cent bezogen auf den Oktavbund der Chanterelle der klassischen Gitarre bei guten akustischen Bedingungen. Dies entspricht einer Längentoleranz am Untersattel von ca. 0,2 mm bei der Oktave. Die Schwelle ist auch deshalb so relativ niedrig, weil es sich hier nicht um reine Töne (Sinustöne), sondern Klänge mit einer Folge von Harmonischen bis zu 10 kHz und mehr handelt!
Das ISIGL empfiehlt deshalb, die Position des Untersattels, aber auch der Bünde und des Obersattels (bzw. ihrer jeweiligen Saitenablösepunkte ) mit einer Toleranz von ca. 0, 1 mm oder weniger in nicht fehleradditionsfähiger Weise (also nicht mit Kettenmaßen) zu kalkulieren. Nicht zuletzt aus diesem Grund empfiehlt das ISIGL in Übereinstimmung mit der EGTA-D den Einsatz der bewährten, frei justierbaren saitenkraftschlüssigen Halterung FABS. Wir kommen darauf noch später zurück. Diese Leistung des menschlichen Ohres ist schon erstaunlich, denn jeder temperierte Halbton unseres Systems weist laut Definition zwölfte Wurzel aus zwei einen Tonhöhenunterschied von rund 5,95631 % aus und der Wert von 1 Cent dann die hundertste Wurzel daraus gleich rund 0,05778 %! Diese Leistung des menschlichen Ohres ist schon erstaunlich!
Bei allen folgenden Überlegungen ist es sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, dass es hinsichtlich der Intonation sehr verschiedene Spielertypen gibt. Das reicht von Spielern, die die Intonation, selbst bei intonationsschwachen Instrumenten, nur dem Instrument überlassen bis zu Spielern, die gewohnheitsmäßig eine schwache Basisintonation mit Gegenintonation ausgleichen und darüber hinaus ihre ganz persönliche künstlerische Gestaltungsintonation praktizieren. Allerdings vermag eine noch so gekonnte Gegenintonation aus vielfältigen offenliegenden Gründen keineswegs eine gute Basisintonation des Instruments zu ersetzen. Dies gilt in ganz besonderem Maße rur ein auf die individuellen Spieleigenschaften und künstlerischen Vorstellungen über eine flexible Intonationsregulierung eingestelltes Instrument. Dies ermögen freilich nur die Spieler voll zu würdigen, wenn sie über entsprechende Erfahrungen verfügen. Bei nicht wenigen Spielern haben die instrumentenbaulichen Missstände zu starken Verdrängungsleistungen geführt, die einen fruchtbaren Umgang mit dem Thema blockieren!
Es ist vorteilhaft, nun die Dinge etwas genauer zu betrachten: Eingangs darf auf das leider immer noch verbreitete Missverständnis hingewiesen werden, die Bedeutung des Ausdrucks stimmungsreine, intonationsreine, oktavreine, quintenreine und bundreine etc. Saite bzw. Gitarrensaite betreffend. Diese Angabe bedeutet intonationstechnologisch, dass die betreffende Saite – wenn die Angabe der Wahrheit entspricht, was zumindest bei Qualitätsprodukten der Fall ist – lediglich die praktische Voraussetzungen für ein korrektes Intonationsverhalten erfüllt. Es bedeutet also nicht, dass die Saite prinzipiell (also unter allen Umständen) auf der Gitarre von sich aus richtig intoniert, sondern vielmehr, dass sie bei Erfüllung der jeweiligen instrumentenbaulichen Voraussetzungen im Neuzustand korrekt intoniert. Wie wir noch sehen werden, sind an die Erfüllung dieser instrumentenbaulichen Voraussetzungen wesentlich mehr Bedingungen geknüpft als dies dem allgemeinen Kenntnisstand der klassischen Gitarristik entspricht, so dass ein noch so berühmtes und teures Instrument keineswegs zwangsläufig diese Forderungen zu erfüllen vermag. Es besteht – wie wir noch sehen werden dennoch heute erstmalig kein Anlass zur Sorge. denn alle anstehenden Probleme sind – wie gesagt – in letzter Zeit gelöst worden. Da sich der Verfasser seit vielen Jahren auch mit musiksaitentechnologischen Themen einschließlich Saitenentwicklung beschäftigt, hier noch eine Bemerkung: Eine Saite kann die praktischen Grundvoraussetzungen für Intonationsreinheit nur dann erfüllen, wenn sie hinreichend homogen ist d.h.. die Masse- und Steifigkeitsverteilung bzw. die geometrische Gestaltformtreue muss hinreichend groß sein. Absolut homogen kann keine Saite sein, weil das bedeuten würde. dass sie hinsichtlich Geometrie und Werkstoffeigenschaften Nulltoleranzen aufwiese. Sie braucht es auch nicht! Es geht hier in der Kunst freilich immer nur um die hörrelevanten Eigenschaften und das Machbare.
Die größte geometrische Genauigkeit erzielt man heute bei Drahtziehprozessen mit Diamantziehsteinen. Sie liegen für kleine Chargen bei Gestaltabweichungen über die Länge von weit unter 0,001 mm. Bei blanken Diskantsaiten (es handelt sich um sog. Monofilamente) sind solche Toleranzen deshalb nicht erreichbar, weil der betreffende thermoplastische Kunststoff wie z.B. Nylon bzw. Polyamide PA 6.12, PA 6.10 oder Fluorcarbon PVDF ohne und mit eigenschaftsformenden Zusätzen oder bestimmte Polyester durch Extrudieren und anschließendes freies, thermisches Recken seine Gestalt erhält. Ein Ziehprozess ist leider hier wegen der ganz anderen Werkstoffeigenschaften nicht sinnvoll. Es ist dabei umso erstaunlicher, dass es den betreffenden hochtechnologischen Kunststoffverarbeitungsbetrieben heute zunehmend gelingt, im Extrudierverfahren bis ca. + 300 Grad C und bis ca. 300 bar (beides z.B. bei dem anspruchsvollsten Werkstoff PVDF) mit anschließenden freien mehrstufigen thermischen Reckprozessen mit Einbeziehung von Stabilisierungsreckstufen (also aufgrund der Werkstoffeigenschaften und der Vorgeschichte des Werkgutes [der Kristallisationsphasen etc.] innerhalb des Gesamtprozesses werkstoffgedächtnis-selbststabilisierenden Reckprozessen) die heutigen vertretbar engen Toleranzen zu erreichen. Auch die Anforderungen an die von der Chemischen Industrie zur Verarbeitung bereitgestellten Kunststoffgranulate sind dabei entsprechend hoch. Viele modeme Saitenwerkstoffe und Halbzeuge sind insofern ein Glückfall für die gesamten Musiksaitenindustrie, weil sie ursprünglich für Großanwendungen z.B. in der Angelschnur- und Reifencordindustrie entwickelt worden sind und auch dort eine ständige Weiterentwicklung erfahren, die auf grund verwandter physikalischer Zielsetzungen auch der Saitenindustrie ständig interessante neue Aspekte eröffnen.
Jeder von den Saiten produzierte Einzelton unseres Instruments ist physikalisch ausgedrückt ein Klang aus Grundschwingung und je nach Saite – bis zu etwa einhundert darauf folgenden Harmonischen sowie zusätzlich einigen unharmonischen Beimengungen vornehmlich im Klangeinsatz. Dieser Klang hat einen zeitlich sehr veränderlichen Charakter. Es handelt sich um hochgrad transiente Ton- bzw. Klangprodukte mit innerhalb jedes Einzeltons sehr unterschiedlichem spektralen Charakter, die eben aufgrund der impulsartigen Anregung (dem sog. Anschlag, der physikalisch dennoch als Zupfvorgang angesehen wird) entstehen. Die Tonhöhe jedes erzeugten Tones ist unter Vernachlässigung der transversalen Biegesteife der Saite und der Randbedingungen gemäß der Taylorschen Beziehung allein abhängig von der schwingenden Saitenlänge, von ihrer längenbezogenen Masse („Gewicht“) und der Saitenzugkraft.
Die Bundabstände des Griffbretts tragen dieser Tatsache Rechnung, indem sie gemäß dem Stimmungssystem positioniert sind. Der Abstand vom tongebenden Bundstab bzw. Obersattel bis zum Untersattel (Stegblatt) unter Stimmzugkraft (wegen des Kippverhaltens des Saitenhalters nicht im entspannten Zustand!) ist damit jeweils umgekehrt proportional der jeweiligen Tonhöhe der Tonskala anzulegen. Dementsprechend sind die Bundabstände des Griffbretts so anzulegen, dass sich die schwingende Saitenlänge (in der Praxis geht man aus gutem Grund jedoch von der sog. Griffbrettmensur – der scale length – aus) um jeweils einen temperierten Halbton – also um den Faktor zwölfte Wurzel aus zwei – verkürzt, und dann ist noch die übliche Intonationszugabe für die Längung der Saiten beim Fingeraufsatz (string correction) am Steg (Untersattel) vorzusehen. Fertig! Soweit alles klar? Leider ganz und gar nicht, denn nun kommt nicht weniger als ein Gebirge von zusätzlichen, zumeist heiklen Problemen auf die Gitarristik zu.
Der genannte, an sich richtige Ansatz hat nämlich einen Schönheitsfehler, weil er die übrigen Saiteneigenschaften und die Begleitumstände außer acht lässt, und dies äußert sich u.a. in den folgenden hörrelevanten technologischen Intonationsphänomenen, die die folgenden Ursachen auf weisen:
Zunächst eine Bemerkung zur messtechnischen Erfassung der Tonhöhe, den heute hochentwickelten elektronischen Stimmgeräten analoger oder digitaler Art: Diese Geräte sind ein Segen auch für die Gitarristik, jedoch ermitteln sie die Tonhöhe bzw. Frequenz allein aus der gemessenen Periodendauer der Grundschwingung des Tons bzw. Klangs (der sog.1. Harmonischen). Der Ton bzw. Klang ist aber bei der Gitarre transient, also stark veränderlich über die Zeit und hat viele Harmonischen. Der Toneinsatz ist sogar paukenartig und die erst später aufkommenden Harmonischen sind, wie prinzipiell alle Saitenharmonischen, mehr oder weniger stark mit zunehmender Ordnungszahl gespreizt; sie entsprechen also nicht mehr streng dem Vielfachen der Frequenz der Periodendauer der Grundschwingung: liegen also nicht streng mathematisch harmonisch.
Dazu kommt noch der überlagernde Einfluss der Eigenresonanzen des Instruments, das zwar von den Saiten zu erzwungenen Schwingungen angeregt wird, aber dennoch diese Eigenresonanzen nicht verleugnen kann. Für die Messung braucht das Gerät aber eine Anzahl ungestörter Perioden mit harmonischem Klangaufbau und zwar um so mehr, je genauer die Messung sein soll. Ganz besonders heikel wird es bei Geräten der l-Centklasse, weil die Anzahl der benötigten ungestörten Perioden im Verhältnis zur Auflösung stehen muss. Hier gilt es also in besonderem Maße, den Einfluss starker Resonanzen der Gitarre während der Messung zusätzlich zu dämpfen, weil sie das Ergebnis verfälschen. Das Problem besteht jedoch auch so prinzipiell weiter.
Man sollte sich also stets bewusst bleiben, dass die gemessene Periodendauer aus den angedeuteten Gründen in vielfacher Weise nur bedingt mit der musikalischen Tonhöhe übereinstimmen kann. Das Gehör ist eben nicht so einfach zu ersetzen!
© Karl Sandvoss, Düsseldorf 2004