Intonation

Jeder, der einige Zeit Gitarre spielt wird gemerkt haben, dass das Stimmen des Instruments einige Probleme birgt, egal ob man mit dem Stimmgerät arbeitet, oder „von Hand“. Auch wenn man sich die größte Mühe gibt und z.B. alle Oktaven in der ersten Lage perfekt sind und einem das Stimmgerät auch noch Recht gibt, plötzlich braucht man wieder diesen einen Griff weiter oben in Richtung Korpus und alles klingt schief. Woran das liegt und was man dagegen tun kann möchte ich im Folgenden so anschaulich wie möglich darstellen.

 

Grundlagen

Das Thema Stimmungen beschäftigt Musiker und Musiktheoretiker schon seit Jahrtausenden und es sind viele Bücher darüber geschrieben worden. Wer sich tiefer mit dieser Materie beschäftigen will, findet am Ende diese Artikels einige Links. Für alle Anderen hier die die Kurzform:
Bei der Gitarre strebt man (wie z.B. auch beim Klavier) eine temperierte Stimmung an, d.h. die Oktave wird in zwölf gleich große Halbtonschritte unterteilt. Das führt dazu, dass außer der Oktave eigentlich kein Intervall ganz genau stimmt, diese geringe Abweichung dafür aber in sämtlichen Tonarten gleich groß ist. Mathematisch findet dieses System seine Entsprechung dadurch, dass man eine beliebige Frequenz (z.B. den Kammerton A=440Hz) mit dem Faktor zwölfte Wurzel aus zwei (1,059463094…) immer wieder multipliziert bzw. dividiert. Dadurch erhält man nach zwölf Divisionen bzw. Multiplikationen den halben bzw. doppelten Wert, was der nächsten Oktave entspricht. Jede der Multiplikationen bzw. Divisionen dazwischen ergibt den jeweils nächsten Halbton.
Diese Gesetzmäßigkeit findet interessanterweise bei Saiten von Musikinstrumenten eine Entsprechung. Die schwingende Saitenlänge verhält sich nämlich umgekehrt proportional zur Frequenz, d.h. dass z.B. eine Halbierung der Saitenlänge eine Verdoppelung der Frequenz bewirkt.

 

Problematik

Aus dem Vorangegangenen kann man schließen, dass z.B. der zwölfte Bund (Oktave) einer Gitarre sich genau auf der halben Strecke der schwingenden Leersaite ( Kante des Obersattels bis zur Stegeinlage) befinden müsste. In der Praxis funktioniert das aber aus einer Zahl von Gründen nicht. Ich möchte hier nur die zwei wichtigsten herausgreifen: Der erste Effekt ist die Mehrspannung der Saite beim Abgreifen. Wenn man eine Saite greift, wird sie natürlich zusätzlich gespannt. Dadurch wird der Ton natürlich höher. Das zweite Problem besteht in der (unterschiedlichen) Steifigkeit der Saiten. Beim Schwingen können sich die Saiten nicht wie mit einem Scharnier genau am Auflagepunkt auf- und abbewegen, sondern „biegen“ sich erst innerhalb dieses Punktes in die Schwingung hinein. Zusätzlich problematisch ist, dass jede Saite unterschiedlich steif ist und daher auch anders reagiert.

 

Lösungen

Sämtliche Lösungen für die beschriebenen Probleme basieren auf Manipulationen der Saitenlängen, um die Tonhöhenabweichungen zu kompensieren

1. Der „konventionelle“ Weg:
Die einfachste Methode zur Kompensation berücksichtigt zwar das Spannen der Saite, ignoriert aber die Problematik der Steifigkeit. Man geht davon aus, dass die Saitenlage von den hohen zu den tiefen Saiten zunimmt. Die Frequenzanhebung beim Greifen der Saite wird durch eine Verlängerung der Saite ausgeglichen. Dies führt dazu, dass die Stegeinlage nach hinten verschoben wird, und zwar für die tiefen Saiten weiter als für die hohen. Es ergibt sich das bekannte Bild einer leicht schräggestellten Stegeinlage.
Stahlsaiten reagieren auf die „Zusatzspannung“ übrigens heftiger, weshalb hier die Zugabe und der Unterschied zwischen hohen und tiefen Saiten wesentlich größer ist als bei Nylonsaiten. Vernünftige Werte sind bei Konzertgitarren etwa 1,0 bis 1,5mm für die hohe und 2,0 bis 2,5mm für die tiefe E Saite. Bei Stahlsaiten kann man von ca. 2mm für die hohe und 5mm für die tiefe E-Saite ausgehen. Der ideale Wert ist natürlich stark abhängig von der eingestellten Saitenlage, aber auch von weiteren Faktoren wie z.B. der Griffbrettkrümmung und der Saitenstärke.
Wie ist dieser Ansatz nun zu bewerten? Ich bin der Meinung dass man mit dieser Methode bei gewissenhafter Anwendung bereits recht gut leben kann. Wenn alle Gitarren wenigstens auf diesem Stand wären, könnte so mancher Frust leicht vermieden werden. Insbesondere für Konzertgitarren, wenn unklar ist, ob z.B. Nylon- oder Carbonsaiten verwendet werden (die verhalten sich nämlich sehr unterschiedlich) halte ich diese Methode nach wie vor für einen legitimen Kompromiss.

2. Die verfeinerte Variante
Wie gesagt ignoriert der erste Lösungsansatz die unterschiedliche Steifigkeit der Saiten weitgehend. Die führt bei bestimmten Griffkombinationen, vor Allem in den höheren Lagen, dazu, dass es einfach schief klingt. Stimmt man z.B. die D- und die H-Saite so, dass die Oktave D-d in der ersten Lage perfekt stimmt, wird man beim Hochrutschen in die höheren Lagen sein blaues Wunder erleben. Grund ist die sehr unterschiedliche Steifigkeit der D- und der h-Saite. Bei den blanken Saiten nimmt die Steifigkeit mit steigendem Durchmesser zu, um bei der ersten umsponnenen Saite schlagartig abzufallen. Die Steifigkeit der folgenden umsponnenen Saiten steigt dann wieder an. Daraus ergibt sich für Konzertgitarren und die meisten E-Gitarren Besaitungen (mit blanker G-Saite) eine Teilung in zwei Dreiergruppen, bei den meisten Steel-String Gitarren (mit umsponnener G-Saite) eine Teilung in eine Zweier- und eine Vierergruppe (s. Skizze). Mit diese Methode erzielt man auch für anspruchsvollere Ohren ziemlich brauchbare Ergebnisse für alle Arten von Saiten. Ich halte eine Kompensation wie eben beschrieben eigentlich für die praktikabelste Variante, da die noch kompromissloseren Varianten dann wieder Ihre eigenen Tücken haben, wie wir gleich sehen werden.

3. Für alle, die es noch genauer wissen wollen
Wie bereits angedeutet, ist mit einer Einrichtung wie oben beschrieben noch nicht das Optimum erreicht. Warum? Ganz einfach, weil die Saite zwei Enden hat und das kopfseitige Ende nicht weniger steif ist als das Andere. Um hier noch zu optimieren tut man das Gegenteil dessen, was man eigentlich erwarten würde. Im ersten Augenblick kommt einem natürlich der Gedanke, dass der Auflagepunkt am Sattel umso weiter in Richtung Kopf verschoben werden müsste, desto steifer die Saite ist. Genau das Gegenteil hat sich als Lösung durchgesetzt. Fakt ist, dass die Intonationskompensation am Sattel vor Allem für die ersten Bünde von Bedeutung ist, während die Kompensation am Steg für die höheren Lagen wirksam wird. Durch die Verkürzung der schwingenden Saite am Sattel verschieben sich alle Bünde um einen festen Wert (also nicht proportional) zum sattelseitigen Auflagepunkt. Dadurch verlängert man praktisch wiederum alle Saitenlängen um einen festen Wert und erniedrigt damit die Tonhöhe. Diese Effekt wirkt wie schon gesagt vor Allem in den tiefen Lagen und übergibt dann allmählich die „Kontrolle“ an die stegseitige Kompensationseinstellung. Dieser Kompromiss wird momentan in der Fachwelt als die befriedigendste Lösung angesehen, um die Kompensation einer Gitarre zu regulieren. Ich persönlich bin aus verschiedenen Gründen etwas skeptisch, ob die Kompensation am Sattel tatsächlich nötig ist. Zum einen kenne ich kaum einen Spieler, der Intonationsprobleme gerade in den unteren Lagen hat. Zum anderen verwischt eine solche Einrichtung den mathematischen Aufbau der Bundreihe, erschwert die Rekonstruktion der theoretischen Mensur und zwingt in jedem Fall zur Anfertigung eines „Tricksattels“, wie unten zu sehen. Ich habe auch schon Spieler erlebt, die sich ein solche Einrichtung (mit entsprechendem Aufwand) wieder zurückbauen ließen.

4. Die ultimative „Lösung“
Wie bereits angedeutet, sind alle vorangegangenen Ansätze letztlich immer noch Kompromisse. Der Vollständigkeit halber möchte ich hier doch auf die Existenz der völlig kompromissfreien Lösung hinweisen: Bereits vor einigen Jahrzehnten entwickelte der deutsche Gitarrenbauer Walter Vogt ein Griffbrett, bei dem sich jeder Bund für jede Saite einzeln verschieben lässt. Dadurch lässt sich natürlich jeder einzelne Ton perfekt intonieren, sogar Mängel beim Saitenmaterial ließen sich auf diese Weise weitgehend ausgleichen. Eine andere sich bietende Möglichkeit ist z.B. die Realisierung anderer als der temperierten Stimmung. Man könnte z.B. für ein Stück in F-Dur alle A’s ein bisschen zum Sattel rücken um so reine große Terzen zu erhalten. Diese System hat natürlich zwei erhebliche Nachteile. Erstens erfordert es natürlich einen recht großen Zeitaufwand. Nach jedem Saitenwechsel wären erst einmal sämtliche Bünde nachzujustieren. Zweitens ist natürlich auch der technische Aufwand immens, was sich in einem exorbitant hohen Preis widerspiegelt. Allein der Mehrpreis für ein solches Griffbrett liegt im deutlich vierstelligen Bereich. Wer sich darüber informieren will, findet weiter unten einen entsprechenden Link.

 

Umsetzung

Die Standardvariante ist natürlich am problemlosesten. Man benötigt nur die übliche feste Stegeinlage die so bearbeitet ist, dass der Auflagepunkt an der richtigen Stelle ist.
Für alle anderen Methoden wird es schon spannender: Man muss sich zunächst überlegen, ob man eine feste oder eine variable Lösung bevorzugt. Die festen Lösungen (Bild 1 und 2) haben natürlich den Vorteil, dass einem beim Saitenwechsel die Einstellung nicht verloren geht oder einem gar irgendwelche Kleinteile abhanden kommen, ist also die praktischste. Dafür verzichtet man aber auch auf die Möglichkeit z.B. bei einer wesentlichen Umstellung der Besaitung die Intonation entsprechend einstellen zu können.

Bild 1: „normaler“ Steg
Bild 2: feste, kompensierte Stegeinlage

In Bild 3 und 4 möchte ich zwei Lösungen für Justierbare Lösungen der Stegeinlage geben. Bild 3 zeigt eine auf dem „FABS“ (free adjustable bridge system) aufbauende Variante. Für jeweils zwei Saiten gibt es ein Auflageelement, dass nicht in einer Nut geführt wird, sondern auf einer schiefen Ebene frei verschiebbar ist. Der Vorteil liegt in der völlig stufenlosen Justierbarkeit des Auflagepunktes. Nachteilig ist die Möglichkeit, dass die Elemente während des Spielbetriebs verrutschen oder beim Saitenwechsel verloren gehen können. Außerdem ist die Einstellung der Saitenlage dadurch ziemlich limitiert, da man die Elemente nicht beliebig hoch machen kann.

Bild 4 zeigt meine favorisierte justierbare Lösung: In einer leicht verbreiterten Nut befindet sich sechs asymetrisch gefeilte Knochensegmente. Zu jedem dieser Segmente gehören drei dünne (0,3mm) Fiberplättchen, die beliebig vor oder hinter dem Knochen eingelegt werden können. Durch verschiedene Anordnung der Plättchen und Drehen des Knochensegments ergeben sich acht verschiedene Auflagepunkte in Schritten von 0,3mm. Diese Abstufung ist meiner Meinung nach allemal fein genug, verschiebt sich nicht und (vorausgesetzt die Teile sitzen alle fest genug) fällt auch nicht heraus. So kann man nach einmaligem Justieren weitgehend sorglos damit umgehen und hält sich dennoch die Möglichkeit offen, das Instrument ggf. für eine andere Besaitung einstellen zu können.

Bild 3: Steg nach FABS
Bild 4: segmentierte Stegeinlage

 

weitere Faktoren

Schließlich möchte ich noch auf einige weitere Faktoren hinweisen, die den Gitarristen das Leben schwer machen können. Der erste Hinweis gilt der Qualität des Saitenmaterials. Leider gibt es auch bei manchen namhaften Herstellern immer noch erhebliche Schwankungen. Alle vorangegangenen Verbesserungen machen natürlich nur dann Sinn, wenn das Saitenmaterial die Grundforderungen erfüllt. Dazu zählt vor allen die sogenannte Quintereinheit, das heißt, das die Saiten absolut gleichmäßig dick (bzw. schwer) sein müssen. Eine ungleichmäßige Saite wird sich an jedem Bund anders verhalten oder sogar in sich unrein klingen, was eine vernünftige Intonation unmöglich macht. Ein weiterer beliebter Fehler bei vielen Gitarren ist ein zu kurzes Ablängen des Griffbretts am Obersattel. Gerade bei einfacheren Gitarren (aber auch bei manch gutem Stück) ist die Bundreihe in sich absolut präzise eingesägt, leider fehlt am oberen Ende ein Stück Griffbrett. Dadurch ist dann auch oft die Position des Stegs nicht korrekt und auch der alte „Bauerntrick“ durch Vergleichen des Flageoletts am zwölften Bund mit dem gegriffenen Ton ist hier trügerisch. Wenn dieser Test bei einem falsch abgelängten Griffbrett nämlich stimmt, bekommt man in den unteren Lagen nämlich mit Sicherheit massive Probleme mit der Intonation, da die komplette Bundreihe einfach nicht mit dem Oktavpunkt übereinstimmt. Weitere Tücken sind bei sehr hohlen („durchgebogenen“) Hälsen versteckt, da sich hier die Saite sehr schnell vom Griffbrett entfernt und der „Mehrspannungseffekt“ auch in den unteren Lagen bereits sehr ausgeprägt ist. Es gäbe noch einiges mehr zu schreiben, aber ich denke durch das Vorangegangene ist doch ein Überblick über die wichtigsten Zusammenhänge vermittelt worden. Für weitergehende Studien finden sich nachfolgend noch eine Reihe Links, die einzelne Teilgebiete noch ausführlicher behandeln.

Links zum Thema

Grundlagen / Tonsystem / Stimmungen

  1. Erläuterung der Naturtonreihe („Obertöne“)
  2. ziemlich umfangreicher Abriss üßber die historische Entwicklung der Stimmungen, viele Links zu verwandten Themen

weiterführende Artikel zum Thema

  1. wesentlich ausführlicherer Text von Karl Sandvoss / ISIGL
  2. eine andere, z.T. auch kontroverse Darstellung der Thematik
  3. Hervè Chouard, der „Erbe“ des „stimmbaren“ Griffbretts von Walter Vogt.